Amok – Begriff – Geschichte – Definition – Alter – Geschlecht – soziale Status – Motivation – Hintergründe – Ursachen – seelische Störungen – biologische Hypothesen – Persönlichkeitsstruktur – Amoklauf-Typen – neuere Charakterisierungs-Versuche – neuere Entwicklungen – Schul-Amok – Waffen-Wahl – Medien-Rolle – Computerspiele – Amok-Berichterstattung – Vorbeugung – Risiko-Marker – u. a. m.
Amok ist furchtbar, aber bisher glücklicherweise sehr selten, auch wenn das Spektakuläre der Tat eine falsche Häufigkeit vorgaukelt. Allerdings gilt auch inzwischen: Amok ist überall möglich.
Wissenschaftliche Hochrechnungen aus der Zeit von 1980 bis 1990 sprechen von einer so genannten Ein-Jahres-Prävalenz (Anzahl der in einem Jahr betroffenen Personen) von 0,03 bei Männern und 0,002 (man beachte die zusätzliche Null) bei Frauen pro 100.000 Bundesbürger. Heute, rund 20 bis 30 Jahre danach, dürften sich diese Zahlen nicht mehr halten lassen. Man befürchtet eine ständige Zunahme, nicht zuletzt durch eine besonders unfassbare und tragische Form des Amoks, in den USA school shootings genannt, also für Amokläufe Jugendlicher an (ihren) Schulen.
Genaue Kenntnisse über die Amokläufer gibt es allerdings wenig, selbst dort, wo solche Bluttaten nicht selten sind. Denn die meisten Täter werden entweder von Ordnungskräften oder der verzweifelten Umgebung „außer Gefecht gesetzt“ oder richten sich selber.
Begriff – Geschichte – Definition
Der Begriff stammt ursprünglich von dem malaiischen Wort amuk und bedeutet „wütend“ oder „rasend“.
„Amucos“ wurden früher Krieger im Fernen Osten genannt, die den Feind mit Todesverachtung angreifen und vernichten, wobei den Gegnern schon ihr Kriegsgeschrei: „Amok, Amok!!“ förmlich lähmte. Manche Herrscher hielten sich regelrechte Amok-Einheiten, die selbst weit überlegene Heere attackierten und dabei fürchterliche Blutbäder anrichteten. Im Übrigen galt Amok in diesen Regionen bis zum Ende der Kolonialzeit auch als mehr oder weniger akzeptierte Form politischen Widerstandes und wurde erst später gesellschaftlich und staatlich geächtet.
Daneben gab es seit jeher die individuelle Motivation amok-artigen Verhaltens, auch als blutiger sozialer Protest, z. B. bei zahlungsunfähigen Schuldnern, die damit der drohenden Versklavung entgehen wollten und einen „ehrenvollen“ Tod suchten. Auch im Westen gab es schon früher Amok-Krieger (z. B. die Berserker im Dienste skandinavischer und sogar byzantinischer Fürsten).
Inzwischen gilt Amok als erweiterter Begriff für jede blindwütige Aggression mit und ohne Todesopfer, ja sogar als Charakterisierung von „gnadenlosen Zwei-kämpfen“, wild gewordenen Tieren oder verheerenden Naturgewalten.
Abzugrenzen davon, auch wenn es manchmal Überschneidungen oder Verwechslungen geben sollte, sind die ebenfalls erschreckenden Phänomene Terroristen-Suizid, Märtyrer-Suizid, erweiterter, Doppel- und Mitnahme-Suizid, Gruppen- und Massen-Suizid, Geisterfahrer-Suizid u. a.
Definition: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Amok als eine „willkürliche, anscheinend nicht provozierte Episode mörderischen oder erheblichen (fremd-)zerstörerischen Verhaltens“. Dabei muss diese Gewalttat mehrere Menschen gefährden, d. h. verletzen oder gar töten, wenn von Amok die Rede sein soll.
Die psychiatrische Forschung definiert Amok derzeit als „nicht materiell-kriminell motivierte, tateinheitliche, mindestens in selbstmörderischer Absicht durchgeführte, auf den unfreiwilligen Tod mehrerer Menschen zielende plötzliche Angriffe“. Ein Amoklauf gehört wissenschaftlich gesehen damit zu den so genannten homizidal-suizidalen Handlungen.
Früher versuchte man den Amoklauf in verschiedene Stadien einzuteilen. Ob das heute noch zutrifft, insbesondere für Amok in der westlichen Welt, muss erst noch geprüft werden.
In einem Vorstadium - so hieß es schon damals - finden sich gehäuft Milieu-Schwierigkeiten, der Verlust der sozialen Ordnung, vor allem aber Zurückweisungen, Demütigungen, Kränkungen, Beleidigungen und eine Beeinträchti-gung des persönlichen Ansehens - zumindest aus der Sicht des Betroffenen. Fällt dies alles mit einer bestimmten Wesensart zusammen, die eine solche Belastung schließlich unerträglich und nur noch durch einen Gewaltdurch bruch neutralisierbar erscheint, ist ein Amoklauf nicht mehr auszuschließen (siehe später). Auf diesem Boden muss dann der eigentliche Auslöser nicht einmal besonders bedeutsam erscheinen.
Danach komme es - so frühere Untersuchungen - zu einem so genannten „Bewegungssturm“, also einem planlosen Angriff auf Menschen, Tiere oder Gegenstände. Den Abschluss eines „typischen“ Amoklaufs bilde ein „tiefer Schlaf“ oder - wissenschaftlich gesprochen - eine stunden- bis tagelang anhaltende seelisch-körperliche Erstarrung. Und für alles eine völlige Erinnerungslosigkeit, zumindest behauptet. Die Wissenschaft heute sieht das anders, ist aber auch mit ständig neuen Erkenntnissen durch „neue“ Amok-Entwicklungen konfrontiert.
Unverändert bleibt aber eines: Besonders wenn es Verletzte und Todesopfer gefordert hat und sich die überraschte bis verzweifelte Umgebung schließlich zur Gegenwehr formiert, riskiert auch der Amokläufer sein Leben oder richtet sich selber. Letzteres schien schon früher der Regelfall zu sein.
Alter – Geschlecht – sozialer Status
Bei den früheren Untersuchungen, insbesondere aus dem Fernen Osten, waren es meist Jüngere, seltener mittleres Lebensalter, fast ausschließlich Männer und überwiegend Angehörige der Grundschicht mit geringer Ausbildung. Neuere Untersuchungen, insbesondere aus dem Westen, sprechen von mittleren, aber auch zunehmend jüngeren Jahrgängen (siehe Schul-Amok), wobei allerdings keine Altersgruppe völlig ausgeschlossen bleibt.
Das männliche Geschlecht, oft ledig oder geschieden, überwiegt unverändert. Doch gibt es durchaus auch Amokläuferinnen. So sollen nur 4 der weltweit bislang mehr als 150 registrierten Amoktaten an Schulen von weiblichen Tätern begangen worden sein. Doch die Zahl scheint zu steigen.
Was die soziale Herkunft anbelangt, muss man für uns offenbar umdenken: Nicht wenigen Tätern gelingt zunächst eine berufliche Qualifikation und gesellschaftliche Integration oder kurz: Sie sind nach außen meist „unauffällige“ Mitbürger. Dann aber braut sich etwas zusammen, für das Umfeld weitgehend unerkennbar (und nicht nur unerkannt, weil man vielleicht nur ungern näher hinschaut). Und irgendetwas, oft nicht einmal akut oder ein für die Umgebung gar nicht besonders belastendes Ereignis löst dann die schreckliche Tat aus.
In zunehmendem Maße kommt es aber auch zu einer Art „Tat-Entwicklung“, das heißt der aggressive Durchbruch baut sich innerlich auf und nimmt sogar strukturell erst langsam Gestalt an (Form, Ort, Zeit, Waffenwahl). Hier deutet sich dann eine gewisse präventive (vorbeugende) Möglichkeit an, was die Kriminologen, Psychologen und Sicherheitskräfte inzwischen gezielt beschäftigt (siehe später).
Hintergründe und Ursachen
Bezüglich der Hintergründe und Ursachen wurde - zumindest früher - praktisch alles in Erwägung gezogen: körperliche Leiden (z. B. Epilepsie, Malaria), seelische Störungen (insbesondere die so genannte katatone und paranoide Form der Schizophrenien), ferner hirnorganische Veränderungen, Vergiftungszustände (meist Rauschdrogen, z. B. das gewaltgefährliche Kokain, was auch heute noch eine Rolle spielt) u. a.
An erster Stelle stehen aber nach wie vor psychosoziale Ursachen, also die schon erwähnten Benachteiligungen, Demütigungen, Kränkungen und Beleidigungen, wobei der Betroffene für sich selber entscheidet, ob angebracht oder ungerecht, ob real oder eingebildet, meist allerdings in seinem verdrosse-nen bis schließlich verbitterten oder gar feindselig-verzweifelten Sinne.
Bei den seelischen Störungen, die als Ursachen eines Amoklaufes diskutiert werden, spielen vor allem die erwähnten Toxikomanen (Rauschgiftsüchtigen), Psychose-Erkrankten und - bisher wenig untersucht - die Persönlichkeitsstörungen eine Rolle. Im Einzelnen:
Gesamthaft gesehen bleibt folgender Eindruck: Dass ein Amokläufer seelisch nicht völlig gesund sein kann, ergibt sich schon aus der Tat. Ob es sich aber um eine in der psychiatrischen Krankheitslehre konkret beschreibbare seelische Störung handelt, das ist noch weitgehend unklar. Die bisherige Expertenmeinung lautet: in Einzelfällen ja, in der Mehrzahl wohl nein, auch wenn es einen wundert.
Biologische Hypothesen
Was dagegen immer wieder aufhorchen lässt, sind die biologischen Hypothesen. Hier diskutiert man vor allem „gehirnphysiologische“ Aspekte, insbesondere ein Zuwenig oder gar Fehlen entsprechender Botenstoffe (Neurotransmit-ter) in bestimmten Hirnregionen. Das wäre dann gleichsam die organische Basis des späteren Gewaltdurchbruchs, der aber im entscheidenden Augenblick durch eine Häufung nicht mehr bewältigbarer psychosozialer Konflikte gleichsam ausgeklinkt wird. Dazu besteht allerdings noch großer Klärungs- und damit Forschungsbedarf. Sollten sich aber entsprechende Mutmaßungen bestätigen, würde sich natürlich auch die Hoffnung erhöhen, rechtzeitig biologisch, d. h. medikamentös eingreifen zu können.
Persönlichkeitsstruktur
Der Frage: Gibt es eine bestimmte Wesensart, die zum Amoklauf disponiert? gilt derzeit das größte Forschungsinteresse. Dabei fand man schon früher kulturübergreifende und damit allgemein-menschliche Aspekte, die offenbar überall die gleiche amok-riskante Rolle spielen:
Das sind zum einen eher geringe geistige und gemütsmäßige Gaben (oder zumindest nicht für die jeweilig angestrebte gesellschaftliche Position ausreichend); zum anderen die Neigung und damit Gefahr von Rückzug und Isolation; manchmal auch wahnhafte Umdeutung an sich harmloser Geschehnisse, besonders wenn man seine Umwelt als feindselig erlebt.
Nicht unwichtig für eine zumindest theoretische Vorbeugung (siehe später) ist auch das Gefühl vieler Amokläufer, niemand sei wirklich für sie da, sie könnten auf keine gemütsmäßige und praktische Hilfe hoffen, seien letztlich allein, verlassen, ausgegrenzt, isoliert und damit verloren - wenn nicht gar verachtet, verlacht oder verhöhnt. Erschwerend kommt dazu noch ihre Unfähigkeit, diese Situation auf herkömmliche Weise zu bewältigen, so wie es den meisten ande-ren mit ähnlichen Belastungen und wenigstens halbwegs befriedigendem Erfolg vergönnt ist (wer hat nicht täglich mit Frustrationen oder gar Kränkungen zu kämpfen).
Eine wichtige Rolle spielt auch der so genannte „Gesichtsverlust“, der im Fernen oder Nahen Osten offenbar eher als Auslöser ausreichen kann. Im Westen ist es aber nicht viel anders, hier unter dem Begriff „Prestige-Verlust“ einzuordnen, nämlich Verletzung, Beschämung, Verachtung durch andere - und dadurch Selbstbeschämung, Selbstverachtung und schließlich „nackter Hass“. So ist dann auch unter Amok-Läufern beiderlei Geschlechts mit akademischem Abschluss möglich, bis hin zum Professoren-Titel. Was wiederum be-weist: Letztlich ist alles möglich und eine Ende der Überraschungen ist nicht abzusehen.
Amoklauf-Typen
Gibt es nun verschiedene Amoklauf-Typen? Die so genannte Transkulturelle Psychiatrie meinte aufgrund ihrer Untersuchungen von fernöstlichen Amokläufern verschiedene Charakter-Typen abgrenzen zu können. Ob sich das auch auf den westlichen Kulturkreis übertragen lässt, bleibt offen. Das, was man bisher zu wissen glaubt, gliedert sich - zumindest theoretisch - in folgende Gruppierungen auf:
Wenn ein solcher Mensch im Rahmen eines Amoklaufes zur Waffe greift, ist es zwar ebenfalls furchtbar, aber man ist vielleicht nicht so überrascht wie bei den anderen Wesensarten.
Neuere Charakterisierungs-Versuche
Neuere Charakterisierungs-Versuche, die man besonders aus der jüngeren Medien-Berichterstattung zu rekonstruieren versuchte, scheinen folgende „Prototypen von Tätern“ zu identifizieren:
Schul-Amok
Ein Phänomen, das sich erst seit vergleichsweise überschaubarer Zeit zu häufen scheint (inzwischen aber auch mehr als 150 registrierte Taten weltweit), sind Jugendliche, die an ihren eigenen oder einer ihnen bekannten Schule Mitschüler, Lehrer und anderes Personal sowie Eltern ermorden. Besonders tragische Stichworte sind Littleton/USA (15 Tote), Erfurt (17 Tote) sowie Winnenden (16 Tote) und Ansbach (keine Toten, dafür 10 Verletzte, 2 davon schwer) u. a.
So soll es schon zwischen 1995 und 1999 mehr Massenmorde von Jugendlichen und Heranwachsenden gegeben haben als gesamthaft in den 40 Jahren zuvor. Auch glaubte man bisher, es handle sich um ein spezifisches Problem der USA. Die Schuld gab man der Ideologie eines Individualismus, die den freien Wettbewerb der Stärke propagiert und wenig Verständnis für individuelle Leistungsschwächen und einen Mangel an Durchsetzungsfähigkeit aufbringt. Und der dortigen freizügigen Waffenkultur.
Hier musste man allerdings umlernen. Auch stellte sich heraus, dass diese Art von Amok in den seltensten Fällen als „blindwütige Raserei“ angelegt war, das heißt sich schnell und impulsiv aus einer entsprechenden Situation heraus aufbaute. Denn fast alle Täter hatten sich zuvor durchaus einige Zeit gedanklich mit dem bevorstehenden Gewaltakt beschäftigt. Bei mehr über der Hälfte ging eine mehrtätige Planung voraus. Auch die Tatsache, dass in den meisten Fällen die Opfer bewusst ausgewählt worden waren und oftmals sogar Todeslisten existierten sowie regelrechte „Hinrichtungen“ praktiziert wurden, zeigt, dass die Vorbereitungsphase eher die Regel als die Ausnahme war.
So ist der Schul-Amok (internationaler Fachbegriff: school shootings) offenbar eine besondere Form geworden, bei der sich jugendliche Täter ausgegrenzt fühlen und sich an einer abweisenden Welt durch ein blutiges Finale rächen, in dem sie dann selber untergehen („Wut und Hass“). Wie gefährlich ein Mensch wird, der „zu allem fähig ist“, hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab. Die Wichtigsten sind wohl Wesensart, Vorgeschichte, Auslöser und spezifische Situation im Allgemeinen - und Waffen im Speziellen.
Die Gefährlichkeit der Waffen-Wahl
Zwar leuchtet das Gegenargument der Waffen-Lobby ein: Wer an Waffen kommen will, der schafft das so oder so, selbst unter erschwerten Bedingungen. Andererseits nimmt erfahrungsgemäß gerade beim Amoklauf die Gefährlichkeit durch Waffen in folgender Reihenfolge zu:
1. Als Waffen missbrauchte Gegenstände jeglicher Art, 2. die früher als traditionell geltenden Amok-Waffen wie Messer, Dolch, Speer, Machete, Schwert, Axt u. a., 3. Schusswaffen bis hin zu Maschinenpistolen oder Handgranaten (eine besonders perfide Art von Amoklauf, da der Täter sich einreden kann, nur indirekt beteiligt zu sein, wie beim heimtückischen Bombenlegen auch) und schließlich 4. der Einsatz ganzer Waffen-Arsenale, die manche Täter („Waffen-Narr“) zur Verfügung hatten - und wohl auch in Zukunft haben werden.
Oder kurz: Waffen mögen für die innerseelische Entwicklung eines Amoklaufs keine so große Rolle spielen. Für das grauenhafte End-Resultat sind sie in der Regel jedoch von weit reichender Bedeutung.
Die Rolle der Medien
Nicht nur in den USA, auch in Europa und nicht zuletzt in Deutschland wird nach entsprechenden Gewalttaten aber auch immer häufiger die Rolle der Medien kontrovers diskutiert. Immerhin weiß man schon seit geraumer Zeit, dass der wiederholte Konsum von Gewalttaten auf dem Bildschirm erhöhte Aggressionen auslösen, unterhalten und verstärken kann. Allerdings scheint es darauf anzukommen, in welchem Zusammenhang Gewalt präsentiert wird: Aggressionen, möglicherweise noch lustvoll ausgeübt, die aber ein moralisch gerechtfertigtes Ziel im Auge haben und von einem positiv besetzten Charakter ausgeführt werden („Held, der der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft“), steigern die Neigung zu gewalttätiger Imitation. Stehen dagegen die negativen Folgen der Tat im Mittelpunkt und wird der Täter als zwiespältige Person dargestellt, kann dies sogar die Hemmschwelle gegenüber Gewalt erhöhen.
Deshalb sagen die zuständigen Experten: Angesichts der Flut von Gewaltdarstellungen, denen Jugendliche und sogar Kinder in ihrem mehrstündigen Fernsehkonsum alltäglich ausgesetzt sind, lässt sich hier wohl keine primäre Ursache für entsprechende Massenmorde objektivieren. Die Medien mögen eine von verschiedenen Einflussgrößen sein, doch wird man ihnen nicht die alleinige Schuld zuschieben können, sonst müssten viel mehr Gewalttaten geschehen. Der größere Einfluss soll der individuellen Neigung zukommen, d. h. den psychologischen Voraussetzungen im weitesten Sinne.
Computerspiele
Problematischer scheinen dagegen jene Computerspiele zu sein (Ego-Shooter), bei denen man virtuelle Gegner niederschießen kann. Sie können in ihrer graphischen Realitätsnähe durchaus bereits vorhandene Gewalt- und Machtfantasien so ausbauen und verstärken, dass es nicht nur zu einer Bahnung, sondern sogar zu einer erhöhten Treffsicherheit im realen Falle kommen soll.
Amok-Berichterstattung
Und auch die Berichterstattung über Amokläufe kann natürlich einen erheblichen Einfluss auf mögliche Folgetaten ausüben. In der Selbstmord-Forschung sind solche Nachahmungs-Phänomene unter dem Begriff Werther-Effekt bekannt. Dort zeigt sich, dass die Darstellung in Film und Fernsehen von aufsehenerregenden Suiziden, vor allem in direkter Folge, zu einer Erhöhung von Selbsttötungen beitragen kann, gerade bei jungen Menschen. Und auch beim Amok scheint eine solche Verknüpfung nicht ausschließbar.
Ein Amoklauf hat umso mehr Nachrichtenwert, je gefährlicher er ist. Das von den Medien angeführte „Recht auf Information“ und die notwendige „Schadens-Vermeidung“ ist ein alter Spagat, der schon von der Suizid-Berichterstattung her bekannt ist. Auf jeden Fall ereignet sich die Mehrzahl der Amokläufe nicht zufällig. Es werden signifikant mehr Taten in einem relativ kurzen Zeitraum nach der ersten Berichterstattung begangen, von den „Trittbrettfahrern“, die nur in Angst und Schrecken versetzen wollen, ganz zu schweigen.
Vor allem junge Amokläufer, die sich mit einer solchen Bluttat zu düsterer Größe und machtvoller Bedeutung aufschwingen wollen, können zu heroischen Figuren werden, die ein verlockendes Identifikationspotential bieten, gerade für ich-schwache Persönlichkeiten mit mangelnder Kompensationsfähigkeit bei ohnmächtigem Zorn, aggressiver Wut, Hass und Feindseligkeit.
Vorbeugung?
Gibt es nun aus den bisherigen Bluttaten für die Vorbeugung verwertbare Schlussfolgerungen? Die Zeit drängt. Doch die Ergebnisse entsprechender Studien sind ernüchternd - wenngleich auch manchmal wegweisend, wenn man sich nicht auf naiv einfache Erklärungsmuster verlässt. Denn zum einen scheint es kein einheitliches Profil unter den Amokläufern zu geben, zum anderen aber finden sich immer wieder Gemeinsamkeiten, die es zu beachten gilt. Zum Beispiel dass die bisherigen Schul-Amokläufer weit überwiegend männlich sind (Ausnahmen scheinen zunehmen). Und umgekehrt: Die hartnäckige Behauptung, jugendliche Amokläufer kämen grundsätzlich aus „kaputten Elternhäusern“ oder seien schon immer „isolierte Einzelgänger gewesen“, haben sich als wohlfeile Schnellschuss-Fehlinterpretationen erwiesen.
Andererseits scheint es aber durchaus gewisse Risiko-Marker zu geben. Dazu gehören folgende Fragen: Handelt es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur mit krankhafter Ich-Bezogenheit und entsprechender Kränkbarkeit? Liegt eine geringe Frustrationstoleranz vor (gerät schnell an seine Belastungsgrenzen und reagiert dann nicht nur frustriert, sondern ggf. wütend und unkalkulierbar)? Finden sich plötzliche Verhaltenssprünge (scheinbar unerklärbare Änderungen in Wesensart, Auftreten und zwischenmenschlichem Kontakt)? Liegt ein auffälliger, auf gewalttätige Inhalte konzentrierter Medienkonsum vor? Wird im näheren und weiteren Umkreis ein krankhaft-aggressives, zumindest aber in dieser Hinsicht grenzwertiges Verhalten toleriert, wenn nicht gar propagiert („Machos, Rambo und andere Killertypen“)? Mangelt es an Nähe und Vertrautheit im Umfeld des Betreffenden? Findet sich ein (leichter) Zugang zu Waffen? Leidet der Betreffenden unter Depressionen mit Suizidneigung (Selbst-Aggression kann schnell in Fremd-Aggression umschlagen - und wieder zurück)? Wurde der Betroffene in der Vergangenheit häufig Ziel von Hohn und Spott bzw. Ausgrenzung oder Verfolgung durch Kameraden und Mädchen, Kollegen, Nachbarn usw.?
Was sich also immer wieder findet, ist die schon mehrfach erwähnte tiefe Kränkung, oftmals ausgelöst durch Unverständnis, Zurückweisung, Spott, Hohn, Demütigungen, Mobbing u. a. Auf die so erlebte Beeinträchtigung und das damit bedrohte Selbstwertgefühl reagieren manche mit Rückzug in eine Fantasiewelt, in der dann Macht und Gewalt in ausufernden Größen- und Allmachtsvorstellungen ausgelebt werden.
Und kommt noch Hass hinzu, blinder Hass bei einer Wesensart, die diese zerstörerische Kraft nicht bändigen kann, dann ist auch ein unkalkulierbarer Gewaltdurchbruch nicht mehr auszuschließen.
Das ist die Basis. Was dann den scheinbar entscheidenden Auslöser abgibt, bleibt sehr individuell und kann zuvor kaum abgeschätzt werden. Doch das was sich zuvor zusammengebraut hat, schon eher - sofern man daran zu denken gewillt ist. Amok - die Abwesenheit der anderen…?