Stand 28.06.2019

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – ADHS / ADS


Begriff – Klassifikation – Beschwerdebild im Kindes- und Jugendalter – Beschwerdebild im Erwachsenenalter – Risikofaktor für weitere seelische Störungen – Probleme in Partnerschaft, Familie, Beruf, Alltag etc. – konkrete Symptom-Hinweise zum möglichst frühzeitigen Erkennen – Möglichkeiten und Grenzen von Prävention und Therapie – u.a.m.


Teil 1: kurz gefasste Übersicht

ADHS/ADS ist zwar ein altbekanntes Leidens-Spektrum, wird aber wohl erst unter den heutigen sozialen Bedingungen zum durchaus ernsten Problem. Es beginnt schon in jungen Jahren und kann dort vor allem die Weichenstellung für die Zukunft folgenreich beeinträchtigen, z. B. Ausbildung, Berufschancen, aber auch Partnerschaft und sogar Unfall-Bereitschaft, Suchtgefahr (vor allem Rauchen) und sozial grenzwertige Eigenschaften.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zur ersten globalen Information, gefolgt von einer etwas ausführlicheren Darstellung des Beschwerdebildes, und zwar a) für Kindheit und Jugend sowie b) für das Erwachsenen-Alter. Im Einzelnen:


Begriff – Ursachen – Häufigkeit – Alter

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung - ADHS/ADS, früher als hyperkinetisches Syndrom bezeichnet, im Volksmund als „Zappelphilipp" bekannt: Kein neues Leiden, in den letzten Jahrzehnten aber vermehrt in den Mittelpunkt gerückt, und zwar sowohl Kindheit und Jugend als auch Erwachsenenalter belastend.

Nach aktueller Erkenntnis eine neurobiologische (Gehirn-) Stoffwechselstörung, erblich mitbedingt (nicht selten mehrere Angehörige oder sogar Generationen einer Familie), wobei auch bestimmte Risikofaktoren diskutiert werden: Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Infektionen, Hirnschädigung durch Alkohol- und Nikotin-Konsum der Mutter, aber auch psychosoziale Aspekte wie Heimerziehung u. a.

Man schätzt die Häufigkeit - übrigens erstaunlich unterschiedlich - auf durchschnittlich 2 bis 4% und mehr (je nach Untersuchungsmethode, aber auch Alter, Land oder Kontinent); das männliche Geschlecht ist in jungen Jahren um ein Vielfaches, später etwa doppelt so häufig betroffen.

Wichtig: Das Leiden wächst sich mit dem Alter zumeist nicht aus, wie erhofft, sondern belastet in etwa der Hälfte der Fälle weiter. Dabei ändern sich allerdings die Beeinträchtigungen und psychosozialen Konsequenzen, je nach Altersstufe (s. u.).


Beschwerdebild

Die häufigsten Krankheitszeichen sind:

Die wichtigsten Störungs-Bereiche im Einzelnen:

  1. Unaufmerksamkeit gegenüber Details; häufige Flüchtigkeitsfehler; Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit über eine längere Zeitspanne aufrechtzuerhalten; scheinbares Nicht-Zuhören; vorzeitiges Abbrechen von Aufgaben; Probleme beim Organisieren und Planen; Vermeidung von längerdauernder geistiger Anstrengung; häufiges Verlieren von alltäglichen Gegenständen; ausgeprägte Ablenkbarkeit durch äußere Reize; auffällige Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten u. a.
  2. Hyperaktivität/Impulsivität: zappelig (Füße, Hände, Sitzen); muss ständig aufstehen und sich bewegen, auch in unangemessenen Situationen (Gefühl der inneren Unruhe, wie getrieben); riskante Situationen (z. B. Klettertouren, vermehrte Unfall-Gefahr); unnötige Lautstärke; exzessives Reden; platzt mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet wurde; Nicht-warten-Können; „nervige Ungeduld“, häufiges Unterbrechen und damit Stören von anderen u. a.

Alterstypische Leidens-Schwerpunkte

Das Beschwerdebild kann im Verlauf des Alters variieren. Beispiele:


Möglichkeiten und Grenzen der Therapie

Die Behandlung sollte ggf. schon im Kindes- und Jugendalter einsetzen und dort aus einer Kombination von Psychotherapie und - wenn notwendig - Pharmakotherapie bestehen. Letzteres aber erst dann, wenn eindeutige psychosoziale Konsequenzen zu befürchten sind.

Medikamentös hat sich vor allem Methylphenidat durchgesetzt, auch wenn es durchaus begründete Bedenken und konkrete Gegenanzeigen gibt: z. B. Hochdruck, Herzrhythmusstörungen, Gehirn-Durchblutungsstörungen, Medikamenten- und/oder Drogenabhängigkeit, Tic-Störungen, Epilepsie sowie im seelischen Bereich Schizophrenie, Angststörungen, Manie, Magersucht u. a.

Der medikamentöse Behandlungserfolg ist allerdings in schwereren und vor allem psychosozial folgenreichen Fällen nicht zu unterschätzen. Dabei lassen sich aber nicht alle Belastungen gleich erfolgreich mildern. Eher weniger beispielsweise Stimmungstiefs, Ängste, Sorgen, feindselige oder gar wahnhafte Reaktionen. Wichtig ist und bleibt eine lückenlose fachärztliche Kontrolle.


Teil 2: Klassifikation und Psychopathologie

Klassifikationen

Klassifikatorisch geben in der Psychiatrie vor allem zwei Institutionen den Ton an, nämlich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 sowie die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) mit ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen – DSM-5® .

Einzelheiten siehe die Fachliteratur.

Psychopathologie

Die Psychopathologie (psychiatrische Krankheitslehre) differenziert beim ADHS (s. o.) sowie ADS (ohne Hyperaktivität) im Wesentlichen in ein Beschwerdebild im Kindes- und Jugend- sowie Erwachsenenalter:

Beschwerdebild im Kindes- und Jugendalter

Auf den ersten Blick scheint es leicht, einen „Zappelphilipp” im Kindes- oder gar Jugendalter zu erkennen. In ausgeprägter Form und über einen längeren Zeitraum hinweg stimmt dies auch. Doch in einer frühen Phase, z. B. vor dem 7. Lebensjahr, in der die rechtzeitige Diagnose eine frühe und damit psychosozial effektive Therapie am erfolgreichsten macht, ist es schon schwieriger. Denn es müssen eindeutige Anzeichen einer durchgehenden Störung im Sinne von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität und damit einer Beeinträchtigung der entwicklungs-mäßig charakteristischen sozialen, schulischen (und später beruflichen) Leistungsfähigkeit gegeben sein. Und es dürfen keine anderen Krankheitsbilder vorliegen, die zu einem ähnlichen Beschwerdebild führen können (z. B. Gemütsstörungen wie Depression oder Manie, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, tiefgreifende Entwicklungsstörungen oder rein oppositionelles Verhalten u. a.). Gleiches gilt für das Erwachsenenalter (s. u.), wobei sich die Bedingungen noch schwieriger gestalten. Außerdem muss natürlich noch die erwähnte Ko-Morbidität abgeklärt werden, d. h. wenn tatsächlich zwei eigenständige seelische Störungen zusammen vorkommen. Im Einzelnen:

- Die Hyperaktivität, die beim „Zappelphilipp“ am ehesten auffallen würde, kann weitgehend fehlen, z. B. beim vorwiegend unaufmerksamen Typus, während sie beim hyperaktiv-impulsiven Typus als erstes ins Auge springt.

Beispiele für Hyperaktivität: kann sich nicht ruhig verhalten, ist ständig in Bewegung, kann nicht sitzenbleiben, verbreitet Unruhe und Gereiztheit, stört andere Kinder. Konkret: zappelt häufig mit Händen oder Füßen, rutscht auf dem Stuhl herum, steht auf, obgleich er sitzenbleiben soll, ist häufig auf „Achse" oder wirkt wie „getrieben", läuft und klettert unruhig herum (letzteres sogar in unüberlegten, riskanten Situationen = Unfallgefahr - s. u.). Hat damit häufig Schwierigkeiten, sich einzuordnen, ruhig zu spielen, sich sinnvoll mit Freizeitaktivitäten zu beschäftigen, wird zum Störer. Beknabbert Fingernägel, Stifte, Lineale u. a.; beschmiert oder bemalt Heftränder, Bücher usw. Dazu vermehrter Rededrang, vor allem redet oft dazwischen (s. u.).

- Kurze Aufmerksamkeitsspanne und mangelnde Konzentrationsfähigkeit (Stichwort: Unaufmerksamkeit): ist leicht ablenkbar, auch durch nebensächliche Reize; kann sich schlecht konzentrieren, vergisst schnell, selbst bei Alltäglichkeiten; beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler (Schularbeiten, sonstige Tätigkeiten). Hat Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten, keine Ausdauer. Hat überhaupt Probleme, Aufgaben oder Aktivitäten sinnvoll zu organisieren. Bleibt nicht bei der Sache, führt nichts zu Ende, wirkt sprunghaft. Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn ihn andere ansprechen; spricht plötzlich von etwas ganz anderem. Führt Anweisungen ungern oder nicht vollständig durch und kann seine Arbeit oft nicht zu Ende bringen (und zwar nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder Verständnisschwierigkeiten); vermeidet vor allem Aufgaben, die längerdauernde geistige Anstrengungen erfordern. Verlegt oder verliert häufig Gegenstände, die man in Freizeit oder Schule ständig braucht (Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher, Werkzeug u. a.).

- Impulsivität: platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist; stellt selber eine Frage nach der anderen. Kann nur schwer warten, bis er an der Reihe ist; unterbricht und stört andere; drängt sich in Gespräche oder Spiele anderer hinein. Das unvorhersehbare, ja unberechenbare Verhalten (redet, ohne zu warten, handelt, ohne zu überlegen, rennt los, ohne zu schauen) führt nicht nur zu entsprechenden Irritationen, sondern auch zu verstärkter Unfall- und damit Verletzungsgefahr (vor allem für sich, ggf. aber auch für andere).

Weitere Symptome: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gehören zu den Kern-Symptomen und damit in den modernen Klassifikationen (s. o.) zu den entscheidenden diagnostischen Kriterien. Es gibt aber noch weitere Hinweise, die z. T. in dem schon erwähnten Beschwerdebild aufgehen, aber auch neue Aspekte bieten:

- Erregbarkeit und Irritierbarkeit: mangelhafte Frustrationstoleranz (kann schlecht warten, schlecht verzichten, „flippt“ oder „rastet leicht aus“). Ausgeprägte Stimmungsschwankungen (extrem empfindlich gegenüber Kritik, gleich beleidigt, weint oder schimpft schnell, störanfällig in jeder Hinsicht, schlechter Verlierer) usw.

- Emotionale Steuerung: wirkt kindlich, unreifer als dem Alter entspricht. Mangelhaftes Einfühlungsvermögen (unzureichender Realitätsbezug, urteilt und wertet unrealistisch, kann sich nicht in andere einfühlen). Ist rasch verunsichert, ja ängstlich; verleugnet Schwierigkeiten; hat wenig Selbstwertgefühl, wird rasch mutlos bis depressiv, möchte nicht mehr leben (Suizidgefahr) u. a.

- Koordination und Wahrnehmung: verspannte Körperhaltung beim Sitzen und Stehen, verkrampfte Handhaltung beim Schreiben und Malen. Ungeschicktes Hantieren, lässt viel fallen, gießt daneben. Ggf. ungeschickte, tollpatschige Bewegungsabläufe oder gar Sprachstörung.

- Sozialverhalten/psychosoziale Folgen: hat wenig Freunde, wechselt ständig seine „Freunde“; sucht sich eher jüngere (ggf. auch viel ältere) Kameraden und vor allem solche, „die ihn aushalten". Oft Außenseiter oder Klassenclown; ungewöhnliches bis lächerliches Imponiergehabe. Ständig in Konflikte verwickelt; gilt als rücksichtslos, ja grausam (z. B. zu Tieren), neigt zu Aggressivität und Wutausbrüchen. Vernachlässigt Körperpflege; räumt Zimmer nicht auf. Beschädigt Spielzeug, Schulranzen, Bücher u. a.

- Lern- und Leistungsstörungen: benötigt viel Zuwendung von Eltern und Lehrern. Leistungen entsprechen offensichtlich nicht der Intelligenz: Schwierigkeiten bei Lesen, Rechtschreibung (Diktat), Rechnen; insbesondere Flüchtigkeitsfehler, unvollständige Sätze, schlechtes Schriftbild; langsames Arbeitstempo. Kann sich nicht klar ausdrücken. Vergisst Hausaufgaben, hat keine Lust zu lernen (Lernverweigerung). Zeigt auch sonst Störverhalten, keine Disziplin, schwänzt die Schule u. a.

- Dissoziales Verhalten: destruktive Verhaltensweisen wie Lügen, Zündeln, Stehlen. Ggf. kriminelle Reaktionen wie Körperverletzung, Einbrüche, Ladendiebstähle, andere Delikte. Gefahr von Missbrauch von Alkohol, Rauschdrogen und vor allem Nikotin (oft schon seit Jugend).

Beschwerdebild im Erwachsenenalter

- Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen: meist nicht mehr so ausgeprägt bzw. folgenschwer wie in Schulzeit, Lehre und Studium, da sich die meisten Erwachsenen im Laufe ihres oft mühseligen und frustrierenden Lebens (Partnerschaft, Familie, vor allem aber Beruf) weitgehend angepasst haben. Was oft bleibt, ist die Mühsal (wenn nicht Unfähigkeit) längere Vorträge ruhig und vor allem durchgehend aufmerksam anzuhören, zu speichern und nützlich umzusetzen. Deshalb meiden sie auch längere Theater- oder Konzertbesuche. Auch die „Lesefaulheit“ von selbst überdurchschnittlich Interessierten kann Ausdruck einer fortlaufenden Teilleistungsstörung (Legasthenie - s. u.) sein. Vor allem die Konzentrationsstörungen verführen zum „flüchtigen Überlesen“ oder auch nur „Überfliegen“ der Überschriften und Zusammenfassungen. Auch das Lesen anspruchsvoller Literatur gehört nicht unbedingt zu ihren Wünschen.

Selbst das konzentrierte und ruhige Zuhören im Familien- und Freundeskreis fällt schwer, besonders wenn über Probleme anderer diskutiert wird. Häufiger Vorwurf: „Mit den Gedanken ständig woanders zu sein“, oft „wie geistesabwesend“.

Ggf. Kurzzeit-Gedächtnisstörungen, wobei komplexere Anweisungen am besten schriftlich festgehalten werden. Sonst sehr lästige Neigung zu Flüchtigkeits-Fehlern und damit Schwierigkeiten bei Planung und Organisation.

Ferner häufiges Liegenlassen von Schlüsseln, Taschen, Kleidungsstücken und Vergessen von Aufträgen usw. Besonders folgenschwer: stress-intensive Situationen (wobei ihnen auch langweilige Tätigkeiten Probleme bereiten können).

- Bewegungsstörungen: Hyperaktivität und Koordinationsprobleme sind zwar nicht zwingend, finden sich aber bei vielen Betroffenen, vor allem männlichen Geschlechts, im Kindesalter auffällig, beim Erwachsenen weniger störend (oder konkreter: in Kindheit und Jugend mehr nach außen, später mehr nach innen gerichtet). Beispiele: unruhig bis gespannt, wenn man längere Zeit ruhig sitzenbleiben muss (s. o.). Unfähig, sich einmal richtig auszuspannen, locker zu lassen. Lästig bis unmöglich deshalb auch längere Reisen (z. B. Langstreckenflüge), aber auch in überschaubarem Rahmen Fernsehen, Lesen, Essen bei Tisch u. a. Qualvoll eine erzwungene längere Bettlägerigkeit. Selbst in der Freizeit eher schnelle Schritte als langsames Spazierengehen.

Häufig ständige Fußbewegungen wie Fuß-Wippen bei übereinandergeschlagenen Beinen oder ständiges Fuß-Klappen auf dem Boden im Sitzen; dazu ständiges Trommeln mit den Fingern, auf dem Stuhl hin und her rutschen oder wiederholte Handbewegungen. Nicht selten auffälliges Gestikulieren sowie eine schwer lesbare, unter Zeitdruck ggf. unleserliche Schrift.

- Impulsivität: Belastend bis gefährlich sind im Kindesalter nicht nur die ständige Unruhe, sondern auch eine mangelnde Risikoabschätzung hinsichtlich möglicher Gefahren, z. B. beim Spiel, im Straßenverkehr oder Sport. Im Erwachsenenalter nicht mehr so ausgeprägt, aber immer noch erstaunlich oft unüberlegtes, unvorhersehbares oder gar unberechenbares Verhalten: Reden, Losrennen, Handeln ohne das notwendige Abschätzen möglicher Gefahren. Das beginnt im reinen Bewegungsbereich und geht über impulsiv ablaufende Einkäufe und sonstige Handlungen bis zu wichtigen psychosozialen Entscheidungen, z. B. beim Partner- und Berufswechsel. (Nicht wenige Betroffene kommen aus Scheidungsfamilien und lassen sich später selber scheiden, was offenbar nicht nur eine psychologische, sondern auch genetische (Erb-) Komponente hat.)

- Desorganisation: Sie bleibt am ehesten bis ins Erwachsenenalter: vom unaufgeräumten Kinderzimmer bis zur vernachlässigten Wohnung, vom unordentlichen Schulranzen bis zum chaotischen Schreibtisch, von der nachlässigen Haus- bis zur unvollständigen Dienstaufgabe usw. Kurz: Aktivitäten werden unzureichend geplant und organisiert. Meist wird planlos von einer Aufgabe zur nächsten gewechselt, Zeitpläne oder Termine werden nicht eingehalten. Das erklärt dann auch einen Teil des geringen Selbstwertgefühls auf der einen sowie mögliche aggressive Reaktionen bei entsprechenden Vorhaltungen auf der anderen Seite.

- Gestörtes Sozialverhalten: Hier pflegt der Erwachsene mit ADHS am meisten hinzuzulernen - notgedrungen. Ansonsten drohen hier rasch Ärger in der Nachbarschaft, Ausgrenzung im Freundes- und Bekanntenkreis, Trennung und Scheidung in der Partnerschaft, massive Probleme in der Familie und Misserfolg im Beruf. Wer dies nicht schafft, kommt ggf. aus einer folgenreichen Mischung aus Ärger, Frustration und Resignation, aber auch Groll, Aggressivität oder gar hasserfülltem Zorn kaum mehr heraus. Letzteres vor allem dann, wenn zusätzlich eine so genannte dissoziale (antisoziale, früher asozial genannte) Persönlichkeitsstörung vorliegt, mit allen Folgen. Tatsächlich ist diese unselige Kombination bei schwer auffälligen Mitbürgern nicht selten (ADHS soll sich in Vollzugsanstalten häufiger finden…).

- Emotionale Störungen sind ein häufiger Belastungsfaktor, und zwar für die Betroffenen und ihr Umfeld, dazu schwer durchschaubar, kaum erklärbar und von langfristig folgenschweren psychosozialen Konsequenzen begleitet. Schon bei Kindern findet man öfter eine ausgeprägte psychische Labilität, dauerhafte Miss-Stimmung usw.

Besonders irritierend wirkt der rasche Wechsel zwischen normaler, bedrückter oder angehobener Stimmung, oft - wie erwähnt - als Unzufriedenheit oder Langeweile geschildert. Die Änderung der Stimmungslage droht innerhalb von Stunden bis maximal einigen Tagen und wird spontan, grundlos oder durch geringfügige äußere Ereignisse ausgelöst.

Auch sind viele ADHS-Betroffene nicht in der Lage, adäquat mit alltäglichen Situationen umzugehen, sondern reagieren überschießend, d. h. schnell „belästigt“ oder „gestresst“, und dann entweder ängstlich, zumindest frustriert, oder gereizt, wenn nicht gar erregt bis hin zu Wutausbrüchen.

- Stressintoleranz und Selbstbehandlungs-Versuche: Typisch ist im Kindes- wie im Erwachsenenalter also eine ausgesprochene Frustrationsintoleranz, besonders in Belastungssituationen. Dann wird die schlechte Selbstkontrolle freigelegt und es kommt, besonders im Stress, immer wieder zu impulsiven Ausbrüchen mit negativen psychosozialen Konsequenzen. Willentlich ist dies schwer zu steuern, „chemisch“ aber offenbar befriedigend, z. B. durch Nikotin. Das erklärt auch, warum Jugendliche und Erwachsene mit ADHS häufig (starke) Raucher sind - und oft bis ins Alter bleiben.

Manchmal wird versucht, diese unglückselige (weil ansteckende und letztlich ausgrenzende) Wesensart durch gefährliche Aktivitäten zu neutralisieren: gewagte Motorrad- und Autofahrten, gefährliche Sportarten, Gefahrentourismus usw. Ganz zu schweigen von ggf. riskantem Alkohol- und Rauschdrogenkonsum.

Dass eine solche mangelhafte Affektkontrolle sich auch nachteilig auf ein angepasstes Verkehrs-Verhalten im Alltag auswirken kann, versteht sich von selber und ist auch häufig ein Grund für entsprechende Konsequenzen (Führerschein!).


Schlussfolgerung

Das Problem einer exakten Diagnose im Erwachsenenalter sind das veränderte und ggf. nicht mehr so ausgeprägte Beschwerdebild einschließlich grenzwertiger Reaktionen und vor allem die fehlenden Hinweise von Vater, Mutter, Lehrer usw., die in der Regel ein solches Krankheitsbild im Kindesalter rasch bestätigen könnten: unruhig, überaktiv, schnell erregbar, störend, zappelt dauernd herum, leicht ablenkbar, führt nichts zu Ende, will sofort alles erfüllt haben, ist leicht zu frustrieren, ggf. rascher Stimmungswechsel, häufiges Weinen oder Wutausbrüche - alles meist plötzlich, zumindest unvorhersagbar.

Im Erwachsenenalter sind deshalb folgende charakteristische Symptome vor allem von der Familie zu erfragen: Bewegungsunruhe (Trommeln mit den Fingern, Wippen mit den Füßen), Unfähigkeit zur Entspannung, allgemeine Nervosität, kann nicht länger sitzenbleiben, merk- und konzentrationsschwach, rasch ablenkbar, kann nicht länger lesen oder an Gesprächen teilnehmen, muss alles zweimal lesen, vergisst trotzdem vieles u. a. Dazu ggf. gemütslabil, impulsiv, d. h. rasche Gefühlsausbrüche mit Überreaktionen sowie erhebliches Organisations-Defizit privat und beruflich.