Krankhaftes Feuerlegen – pathologische Brandstiftung – Pyromanie – Brandstiftungs-Ursachen – Brandstiftungs-Motive – Brandstiftungs-Hintergründe – Brandstiftung und Geschlecht – Brandstiftung und Alter – Brandstiftung und Persönlichkeitsstörung – die häufigsten Diagnosen bei krankhaftem Feuerlegen – Brandstiftung und psychologische Hintergründe – Brandstiftungs-Vorbeugung – Pyromanie-Therapie – u.a.m.
Über Brandstiftung liest man in jedem Lokalteil der jeweiligen Tageszeitung, bisweilen mehrfach pro Woche. Zumeist ist es ein krimineller Akt mit den üblichen Motiven, Hintergründen, vor allem Frustrationen (vom lat.: frustra = vergeblich), Kränkungen, Verärgerungen, nicht zuletzt aus Rache.
Diese Handlungen bzw. Reaktionen sind - so schwer es einem letztlich fällt - irgendwie noch nachvollziehbar, gleichsam eine negative „menschliche Seite“ betreffend. So etwas gab es seit jeher, gibt es (möglicherweise immer öfter?) und wird es auch in Zukunft geben. Falls die Täter gefasst werden (im Vergleich zu anderen Taten mit Schadensfolge offenbar eher seltener), hört man relativ wenig über die weiteren strafrechtlichen Maßnahmen, wenn es sich nicht gerade um spektakuläre, kosten-intensive oder „prominente“ Taten bzw. Täter handelt.
Dagegen dringt dann gelegentlich etwas an die Öffentlichkeit, was wirklich allseits irritiert, auf jeden Fall den Rahmen des Verstehbaren sprengt. Gemeint ist das seelisch krankhafte Feuerlegen, die pathologische (krankhafte) Brandstiftung oder Pyromanie.
Darunter versteht man die versuchte oder vollendete Brandstiftung an Häusern oder anderen Objekten ohne (scheinbar) verständliches, zumindest halbwegs nachvollziehbares Motiv.
Das wäre dann ein ungewöhnliches, ggf. folgenschweres Krankheitsbild, von dem man allerdings relativ wenig weiß. Vor allem wurde es bisher nicht allseits befriedigend und insbesondere einheitlich definiert bzw. klassifiziert. Das interessiert zwar die Öffentlichkeit auch kaum, es wäre aber der Schlüssel zum Verständnis so mancher unerklärlichen Tat bzw. der dahinterstehenden Persönlichkeitsstruktur - offenbar seelisch gestört.
Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema Pyromanie, d. h. krankhafte Brandstiftung oder pathologisches Feuerlegen, wie es die vor allem forensische Wissenschaft heute sieht:
Ursachen – Motive – Hintergründe
Das Beschwerde- oder besser Krankheitsbild ist charakterisiert durch ausgeprägtes Interesse, ungewöhnliche Neugier, ja Faszination von allem, was mit Feuer und Brand in Zusammenhang steht. Das betrifft im harmlosen Falle die speziellen Institutionen, vor allem also die Feuerwehr, insbesondere Personal und Ausrüstung wie Löschgeräte, Löschfahrzeuge u. a. Schon etwas ungewöhnlicher ist der Umstand, dass solche Menschen oft regelmäßig als „Zuschauer“ bei Bränden in ihrem näheren und weiteren Umfeld auffallen, ja mitunter sogar falschen Alarm geben. Einige können sogar bei der örtlichen Feuerwehr tätig werden, und zwar durchaus aktiv und engagiert (s. u.).
Der psychopathologische (also seelisch krankhafte) Ablauf solcher Episoden, wenn eindeutig krankhaft bestimmt (s. später), beginnt mit einer ins unerträgliche wachsenden Spannung oder affektiven (Gemüts-)Erregung, bevor der Brand gelegt wird. Während des Feuers und den damit verbundenen Begleitumständen fällt der Betreffende nicht selten als ausgesprochen interessiert bis fasziniert oder gar gebannt auf. Manchmal sogar regelmäßig als „Zuschauer“ bei selbstgelegten(!) Bränden, wenn nicht gar noch Auslöser der Alarmsituation. Wenn in der jeweiligen Feuerwehr aktiv, dann bei den Löscharbeiten nicht selten besonders einsatzfreudig.
Während des Brandes Entspannung, Befriedigung und Vergnügen. Danach, selbst angesichts der entstandenen Zerstörung oder Schädigung von Besitz, Gesundheit oder gar Leben, in der Regel Gleichgültigkeit, ja Zufriedenheit, Behagen, Wohlgefühl oder Entzücken, zumal zuvor nicht selten sogar umfangreiche Vorbereitungen getroffen wurden, um ein solches „Feuer-Erlebnis zu inszenieren“.
Geschlechtsspezifisch scheinen Männer häufiger betroffen als Frauen. Nicht selten sind es auch Menschen mit geringen sozialen Fertigkeiten oder Lernschwierigkeiten. Der Altersschwerpunkt liegt im ersten Lebensdrittel und betrifft nicht zuletzt Jugendliche (s. u.). Die Mehrheit lebt eher auf dem Land. Weitere Aspekte siehe später.
Bezüglich des Krankheits-Verlaufs gibt es offenbar noch Forschungsbedarf. Es besteht jedoch die Gefahr der Chronifizierung, wenn der Betroffene nicht irgendwann entdeckt und behandelt, zumindest überwacht werden kann. Bei zeitlich umschriebenem (Fachbegriff: episodischem) dranghaftem Feuerlegen nimmt die Häufigkeit zu und ab, ohne dass bisher gesicherte Erkenntnisse vorliegen, welche Gründe hier eine besondere Rolle spielen (z. B. Jahreszeit, vor allem Frühjahr?). Auf jeden Fall ist der Langzeit-Verlauf solcher krankhaften Entwicklungen nicht abschätzbar.
Besondere Aspekte
In den letzten Jahrzehnten versuchte man die krankhafte Brandstiftung konkreter zu fassen, was jedoch nicht ohne Überschneidungen und Diskrepanzen möglich ist. So gibt es zahlreiche Ursachen und Gründe, die nicht immer exakt auseinanderzuhalten sind. Einige Beispiele für die differential-diagnostische Schwierigkeit, auf was eine Pyromanie zurückgehen kann und wie sie entsprechend einzustufen ist:
Konkrete psychiatrische Krankheitsbilder mit Brandstiftungs-Gefahr
Im Rahmen einer konkreten seelischen Störung werden auch folgende Krankheitsbilder diskutiert, bei denen das pathologische Feuerlegen gelegentlich zu beobachten ist. Im Einzelnen:
Überlegungen aus dem forensischen Alltag
Gerade an der - oftmals mit beträchtlichen Schadfolgen einhergehenden - Pyromanie lässt sich aber gut der Unterschied zwischen theoriegeleiteter Klassifikation (z. B. in den engen Ausschlusskriterien moderner Klassifikationen) und dem Praxisalltag darstellen. So geben die forensischen Psychiater, deren Arbeitsgebiet Diagnose und Therapie rechtskräftig verurteilter psychisch Kranker ist, aufgrund ihrer eigenen (Gutachten-)Daten zu bedenken:
Trotz moderner Ermittlungsmöglichkeiten bleibt der Großteil, nämlich fast zwei Drittel aller Brandstiftungen, unaufgeklärt. Rund ein Viertel (in den USA noch mehr) entfallen auf strafunmündige Kinder, die also nicht vor Gericht kommen und deshalb auch nicht in die Statistik eingehen. Das Gleiche gilt für Täter mit entsprechenden Motiven wie Versicherungsbetrug, Verdecken von Spuren und anderen Straftaten, von politischer Motivation u. a., die - zumindest in Mitteleuropa – nicht so selten keiner psychiatrischen Begutachtung durch das Gericht zugeführt werden. Das besagt: Nur jede 10. Brandstiftung ergibt verwertbare Hinweise über Persönlichkeitsstruktur, Motivation usw.
Von diesen rund 10 % erfassten Tätern sind mehr als drei Viertel männlichen Geschlechts. In Wirklichkeit sind Frauen aber wahrscheinlich öfter betroffen - unentdeckt, so vermutet man.
Motive
- Das häufigste Motiv im Rahmen der erfassten und forensisch begutachtbaren Brandstifter ist Frustration, also letztlich aggressive Beweggründe (jedoch selten Rache: meist kennt der Täter den Geschädigten gar nicht).
- An zweiter Stelle stehen Faszination, also Interesse, Neugierde oder Anziehung hinsichtlich Feuer und der damit zusammenhängenden Brand-Situation. Das entspricht in etwa der modernen Definition der Pyromanie. Und hier finden sich auch die meisten Feuerwehrmitglieder bzw. -helfer. Und auch einige sexuelle Motivationen, jedoch deutlich seltener als in der früheren neurosen-psychologischen Literatur angenommen, bei der man von einer sexual-psychologischen Motivation der Pyromanie ausging.
- An dritter Stelle folgen die Kombination aus Frustration und Faszination, danach suizidale Motive und - am seltensten - wahn-induzierte Brandlegungen (also wahnhafte Störungen, Schizophrenie, schizoaffektive Störung u. a.).
Diagnosen
- Bei den Diagnosen stehen an erster Stelle Persönlichkeitsstörungen in fast zwei Drittel aller Fälle. Dabei überwiegen offenbar - im Gegensatz zu den herkömmlichen Klassifikationen - jene Persönlichkeitsstörungen, die man hier gar nicht suchen würde (und die oben auch nicht angeführt wurden). Das sind die selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen, und zwar weit vor den antisozialen, paranoiden, den Borderline- und schizoiden Persönlichkeitsstörungen, denen man das eher zutrauen bzw. unterstellen würde. Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur in kontroverser Diskussion.
Und noch etwas anderes, was gerne übersehen wird: Etwa jeder 5. forensisch erfasste Brandstifter ist geistig behindert. Eine Entwicklungskrise muss in jedem 10. Fall angenommen werden. Danach folgen die deutlich selteneren Diagnosen: wahnhafte Psychose, hirnorganisches Psychosyndrom, Demenz und Depression (s. diese).
- Im Gegensatz zu den Ausschlusskriterien der neuen Klassifikationen (akute Trunkenheit, chronischer Alkoholismus, Drogen- und Medikamenten-Intoxikation u. a.) ist der Alkoholmissbrauch bei der pathologischen Brandstiftung in Wirklichkeit wohl das häufigste, wenngleich viel zu selten nachgewiesene Phänomen dieses Fehlverhaltens. Hier spielt allerdings etwas herein, was ohnehin immer häufiger (oder gar die Regel?) ist, aber nur selten registriert wird: die Ko-Morbidität, sprich: wenn eine Krankheit zur anderen kommt, auch in seelischer Hinsicht. Deshalb:
Drei Viertel der erfassten Täter sind zum Zeitpunkt der Tat alkoholisiert, die Hälfte als alkoholkrank zu bezeichnen, so die nicht völlig abwegige Vermutung. Dies betrifft besonders selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen und hier besonders die Motiv-Kombination Frustration und Faszination. Der Alkoholismus ist vor allem ein Problem der älteren Brandstifter.
- Varia: Vier von zehn Tätern sind vorbestraft, fast die Hälfte lebt im Familienverbund, die meisten unverheiratet (oder kurz vorher geschieden). Zwei Drittel der Brandobjekte sind fremde Häuser, der Rest verteilt sich auf eigenes Wohnhaus und Arbeitsplatz (allerdings arbeitet die Hälfte der Brandstifter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr). Das Durchschnittsalter ist relativ jung, d. h. eine Brandstiftung erfolgt in der Regel in den ersten Lebensjahrzehnten. Die Mehrheit kommt vom Land. Drei Viertel setzen die Brände nachts (eher Erwachsene), ein Viertel bei Tag (eher Jugendliche).
Psychologische Hintergründe
Psychodynamisch scheint bei der pathologischen Brandstiftung weniger eine Störung mit Verlust der Impulskontrolle vorzuliegen (in den modernen Klassifikationen wird die Brandstiftung unter diese Kategorie eingereiht), eher ein extrem spezialisiertes Fehlverhalten. Die meisten Täter sind sehr schüchtern und gehemmt. Deshalb greift die einseitige Betonung aggressiver Motive zu kurz.
Das Gleiche gilt für den angeblich hohen Anteil von sexuell motivierten Brandstiftern, einer Interpretation, die vor allem die deutschsprachige Psychiatrie in Anlehnung an Sigmund Freud charakterisiert. In Einzelfällen kann dies vorkommen, ist aber - zumindest für die erfassten Pyromanen - kein statistisch relevantes Motiv.
Zahlenmäßig aber deutlich ist die Erkenntnis: Mindestens 60 % aller überführten Brandstifter sind Kinder, weshalb man bei entsprechenden Brandfällen die kindliche Lust am Zündeln in seine Überlegungen einbeziehen sollte.
Und was lässt sich therapeutisch erreichen?
Was die Behandlung anbelangt, so muss sie so gezielt auf die Motive, Ursachen und Hintergründe des jeweiligen Krankheitsbildes eingehen, wie sie oben geschildert wurden. Das beginnt mit Aufklärung und pädagogischen Maßnahmen, geht über psychotherapeutische oder psychagogisch-soziotherapeutische Einwirkungen bis zu ggf. medikamentösen Versuchen. Letztere meist neuroleptisch oder mittels Phasenprophylaktika (Rückfallvorbeugung), wobei die jeweiligen medikamentösen Behandlungen aber nicht zu kurz anzusetzen sind, was leider die Regel ist. So gesehen halten sich - global und auf lange Sicht - die Therapie-Erfolge mitunter in engen Grenzen.
Deshalb ist das rechtzeitige Erkennen entsprechend belasteter oder durch ihr Leiden bedrohlicher Täter-Persönlichkeiten erfolgreicher - und zwar nicht nur für die Opfer, auch für die Betreffenden selber.